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Das "Nahost-Syndrom"

category nordafrika | die linke | meinung / analyse author Monday February 14, 2011 06:49author by Statuliberauthor email statuliber at riseup dot net Report this post to the editors

Der Kampf um die Definitionsmacht eines Konfliktes

Nennen wir es das "Nahost-Syndrom": Sobald ein Artikel oder ähnliches mit den Worten "Israel", "Palästina" oder "Nahost" erscheint, beginnen die Köpfe, insbesondere die Impulskontrolle, der dazu Kommentierenden auszusetzen. Statt sich mit dem Thema auseinanderzusetzen werden Meinungen plump, als Wahrheiten getarnt und möglichst beleidigend gepostet. Wir wollen hier erarbeiten wieso.


Das "Nahost-Syndrom"

Der Kampf um die Definitionsmacht eines Konfliktes


-)Einleitung

Nennen wir es das "Nahost-Syndrom": Sobald ein Artikel oder ähnliches mit den Worten "Israel", "Palästina" oder "Nahost" erscheint, beginnen die Köpfe, insbesondere die Impulskontrolle, der dazu Kommentierenden auszusetzen. Statt sich mit dem Thema auseinanderzusetzen werden Meinungen plump, als Wahrheiten getarnt und möglichst beleidigend gepostet. Wir wollen hier erarbeiten wieso.

Auch dieser Text bietet keine tiefgehende Analyse des Nahostkonflikts, ganz im Gegenteil wird überhaupt nicht behauptet den Nahostkonflikt als Ganzes zu verstehen. Dieser Text stellt lediglich eine These über diesen Konflikt auf: Er ist zu komplex, als dass den beteiligten Parteien reine "Opfer"-, "Täter"-, und "Retter"rollen zugeschrieben werden könnten. Was nicht heißen soll das in bestimmten Teilabschnitten des Konfliktes einer Seite nicht eher eine "Täter"- oder "Opfer"rolle zugewiesen werden kann. Aber jeder "Täter" ist innerhalb des Konfliktes mehr als nur "Täter und jedes "Opfer mehr als nur "Opfer".

Im weiteren wird dir Rezeption dieses Konfliktes behandelt, ohne viel über den Konflikt selber aussagen zu wollen.

-)Die Linksradikalen

Die so genannte linksradikale Szene neigt in vielen Situationen dazu sich als "Retter" zu präsentieren. Allzu oft verliert sie sich in einer Suche nach einem mystischen revolutionären Subjekt, als dessen Verteidigerin und "Retter" sie auftreten kann.

In viele Fällen in denen solche Zuschreibungen möglich sind ist es durchaus legitim, sich zu einer Konfliktpartei zu bekennen. Problematisch wird dies jedoch in einem Konflikt ohne klar erkennbare "Täter" und "Opfer"-Partei. Sofort werden verschiedene Begründungen gefunden warum genau die eine Konfliktpartei das "Opfer" ist. Sei es nun eine schon länger andauernde Unterdrückung oder dass die andere Konfliktpartei erst den Konflikt ausgelöst hätte. Statt einer breiten Analyse der ohnehin schon komplexen Situation kommt es zu pathetischen Solidaritätserklärungen und vagen Beschuldigungen, die mit dem eigentlichen Konflikt wenig zu tun haben. Selten lässt sich dies so gut erkennen wie im Falle des Nahostkonflikts.

-)Solidarität

Eines der stärksten Ausdrucksmittel der rettenden Rolle ist die Solidarität, ganz klar wird bekannt, dass diese oder jene Partei unterdrückt werde und daher zu unterstützen ist, gleichzeitig wird zumeist ein "Täter" konstruiert. Solidarität ist eine Waffe im Kampf um die Köpfe. Gezielt eingesetzt kann die Ablehnung von Solidarität ebenfalls eine Waffe dieser Art sein. Als Beispiel dienen die reflexartigen "Keine Solidarität mit..."-Texte, die häufig nach Gewalt mit linkem Hintergrund kursieren. Hier wird noch einmal die klare Zuweisung der Rollen deutlich. Sobald eine Gruppierung oder Person die rein gewaltlose Spur verlässt, erscheint sie in den Augen einiger Personenkreise als "Täter".

Ein wichtige Erscheinung im Rahmen des Nahostkonfliktes ist die Solidarität mit Nationen, wie sich auch schon in den so genannten "nationalen Befreiungskämpfen" vorkam. Hierbei ist nicht nur gefährlich, dass einer Nation, die in linksradikalen Kreisen zumeist als konstruiert gilt, die "Opfer"rolle zugewiesen wird sondern einer anderen die "Täter"rolle.

Es ist
  1. zweifelhaft ob alle Personen, die einer Nation zugerechnet werden, in einem Konflikt "Opfer" sein können.
  2. sehr wahrscheinlich, dass aus der Beschreibung aller Personen, die einer Nation zugerechnet werden, als "Täter" Unterdrückung folgen wird. Solidarität mit Nationen ist daher nie als Ganzes emanzipatorisch, aber fast immer repressiv.

-)Die Faschisten (männliche Form mit Absicht verwendet)

Opfermythen und das Suhlen in einer eigens konstruierten "Opfer"rolle ist Kennzeichen rechter und faschistischer Strömungen. Sei es nun die Dolchstoßlegende, die Bombardierung Dresdens oder Benachteiligung durch "Emanzen". In diesem Licht ist auch die Stellung faschistischer Strömungen zum Nahostkonflikt zu betrachten. Die häufige Stellungnahme auf Seiten der palästinensischen Bevölkerung dient nicht dazu sich als "Retter" in Szene zu setzen, wie etwa bei Linksradikalen, sie dient ganz im Gegenteil dazu einen "Täter" zu konstruieren, dessen "Opfer" die Faschisten selbst sind. Im Fall des Nahostkonflikts ist dies wohl das Judentum. Die Darstellung der palästinensischen Bevölkerung als "Opfer" dient nur als Vorwand sich selbst als "Opfer" der Jüd_innen zu präsentieren und somit Antisemitismus zu legitimieren.

-)Antisemitismus und Rassismus

Dies soll in keinster Weise bedeuten, dass Antisemitismus in der Rezeption des Nahostkonflikts nur von Rechts kommt. Sehr häufig folgt aus der Zuweisung einer so nicht gegebenen "Täter"rolle die Verwendung von Klischees und unterdrückender Techniken, wer auch immer sie tätigt. Denn die eigene Position muss gegen die Komplexität der eigentlichen Sachlage verteidigt werden. Da im Nahostkonflikt weder "Täter" noch "Opfer" so gegeben ist funktioniert dieser Mechanismus in Richtung aller Konfliktparteien. Nicht nur ist die Beschreibung der Bevölkerung Israels als "kindermordende Zionisten" Antisemitismus sondern auch die Beschreibung der Bevölkerung Palästinas als "zivilisatorisch zurückgebliebene Fanatiker" Rassismus (bzw. so genannte Islamophobie).

-)Amerika und Antiamerika

Auch die USA bieten sich als Verbündete Israel wundervoll zur Projektion politischer Fantasien an. Entweder es wird im Nahostkonflikt zu "Mittätern" auf Seiten Israels dargestellt, mit all den Implikationen die daraus folgen, oder als "Retter" der weltweit Antisemitismus ausgesetzten Jüd_innen. Das eigene Interesse und die eigenen Hintergründe der USA werden hierbei fast vollständig ausgeblendet. Es kommt innerhalb linker Diskurse vor, dass die USA tatsächlich nur auf seine Rolle im Nahostkonflikts reduziert wird. Das dies meilenweit an der politischen Lage vorbei geht ist nicht überraschend.

-)Welcher Konflikt?

Es ist in der Tat verwunderlich wie sehr sich die Diskussionen vom Nahostkonflikt selbst entfernt haben. Es geht beinahe ausschließlich um szeneinterne Streitigkeiten die Handlungen im Konflikt nur zum Anlass nehmen sich selbst zu befeuern. Die Analyse des Konfliktes selbst endet mit der Zuschreibung von "Opfer"- und "Täter"rolle, vielmehr gilt es die Leute innerhalb der Szene von der eigenen Sichtweise zu überzeugen und die Personen mit anderer Sichtweise in der Verwendung von Antisemitismus und Rassismus zu entlarven und zu diskreditieren. Dass die eigenen Handlungen und Solidaritätserklärungen mit Bezug auf den Nahostkonflikt diesen fast nicht tangieren, ist dabei nebensächlich. Es gilt lediglich um eine Defintionsmacht von "Opfer" und "Täter" ungeachtet der eigentlichen Verhältnisse. Es ist kurzgesagt ein Machtkampf.

-)Conclusio

Wie sich sehen erscheint die gesamte Szenepolitik anders wenn nur eine einzelne Prämisse geändert wird. Die Frage in wie weit dies die Praxis berührt lässt sich beantworten: vermutlich kaum. Es werden sich Lösungen und rhetorische Mittel finden um bei der bequemen Beschreibung von "Opfer" und "Täter" bleiben zu können. Selbst wenn keine Argumente mehr zur Hand sind bleibt die Möglichkeit "Es ist halt so" zu sagen. Warum sollte irgendeine Seite von ihrer hart erkämpften Position abweichen? Denn nur innerhalb dieser hat sie Definitionsgewalt.

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